Bill Plotkin über die Große Wendung (2023)
Bill Plotkin eröffnet in einem Blogbeitrag vom 5. Juni 2023 eine Sichtweise, die auf Joanna Macy zurückgeht und in schweren Zeiten etwas Hoffnung spenden soll. Erst kommt das Originalzitat und danach meine Übersetzung.
Original
Within a larger frame, our current planetary dilemma may have been unavoidable. The human species, with our gift-wound of conscious self-awareness, was likely, from the beginning, to reach our current impasse, one that now seems unstoppable. Now that we’ve arrived at this impasse, the question is whether we’ll end up going extinct or if we’ll find a way to continue in some form. I feel it’s possible to be “positive” about the prospects that we will be able to continue — but, of course, in a much different way and likely in much smaller numbers. We have the opportunity now to “build cathedrals,” many diverse versions of life-sustaining and eventually life-enhancing cultures — in a world in which the diversity of life has been significantly diminished, at least for a long while, perhaps for tens of thousands of years or more.
If one adopts a deep-time frame something like the above, I believe it’s entirely possible to be genuinely positive. But, of course, the goal will not be reached in our lifetime. Or even close. To be positive these days, it seems, we have to find our fulfillment in being part of an evolutionary journey that started at least 10,000 years ago and might stretch that long from here. From this perspective, we are more or less in the middle of this particular journey, this “middle” being the time of the Great Turning, as Joanna Macy puts it. From such a perspective, it is a wildly fortunate privilege to be alive in this transition time — despite the fact that this is an era of vast destruction, mass extinction, and unimaginable human (and other) suffering. We (especially those of us of the relatively unimpacted, “privileged” groups) can dedicate ourselves to the building of a cathedral. And feel positive and fortunate to be able to do so.
Joanna suggests three dimensions to such a project: Saving as much life as we can (including the gathering and safekeeping of seeds) while “civilization” as we have known it completes its collapse; building the infrastructure for life-sustaining societies; and helping ourselves and others shift consciousness and values.
Übersetzung
Ich habe minimal geschliffen, aber den etwas ungelenken, wortreichen Stil an vielen Stellen dennoch erhalten.
In einem größeren Zeitrahmen betrachtet, war unser aktuelles planetares Dilemma womöglich unvermeidlich. Es war von Anfang an sehr wahrscheinlich, dass die menschliche Spezies, mit unserer Gabe-Wunde der bewussten Selbsterkenntnis, unsere aktuelle Sackgasse erreichen würde, einen Weg, der nunmehr nicht mehr aufzuhalten scheint. Nun, da wir in dieser Sackgasse angekommen sind, stellt sich die Frage, ob wir schließlich aussterben werden oder ob wir einen Weg finden werden, in irgend einer Weise weiterzumachen. Nach meinem Gefühl ist es möglich, gewissermaßen positiv auf die Aussicht zu blicken, dass wir weitermachen können – aber natürlich in einer ganz anderen Weise und wahrscheinlich in weit kleinerer Zahl. Wir haben jetzt die Möglichkeit, „Kathedralen zu errichten“, viele verschiedene Versionen von lebenserhaltenden und irgendwann lebenssteigernden Kulturen – in einer Welt, in der die Vielfalt des Lebens allerdings erheblich gemindert sein wird, wenigstens für eine lange Weile, vielleicht für Zehntausende Jahre oder länger.
Ich glaube, wenn man diesen geologischen Zeitrahmen zugrunde legt (deep-time frame), ist es möglich, wahrlich optimistisch zu sein. Aber natürlich wird das Ziel nicht in unserer Lebensspanne erreicht werden. Nicht mal im Ansatz. Um dieser Tage optimistisch zu sein, so scheint es, müssen wir unsere Erfüllung darin finden, Teil einer evolutionären Reise zu sein, die vor mindestens 10'000 Jahren begann und sich nun ebenso lang erstrecken mag. Wir befinden uns mehr oder weniger in der „Mitte“ dieser Reise; und Joanna Macy nennt diese „Mitte“ die Große Wendung (the Great Turning). Es ist ein wahnsinnig glückliches Privileg, in dieser Zeit des Übergangs zu leben – trotz der Tatsache, dass dies eine Ära riesiger Zerstörung, des Massenaussterbens und unvorstellbaren menschlichen (und nichtmenschlichen) Leidens ist. Wir (insbesondere diejenigen, die weniger betroffenen, privilegierten Gruppen angehören) können unser Leben dem Errichten dieser Kathedrale widmen.
Joanna schlägt drei Dimensionen für ein solches Projekt vor: (i) So viel an Leben zu retten wie möglich (einschließlich dem Sammeln und sicheren Verwahren von Saatgut), während die „Zivilisation“ wie wir sie kannten ihren Kollaps vollendet; (ii) die Infrastruktur für lebenserhaltende Gesellschaften aufzubauen; und (iii) uns und anderen zu helfen, das Bewusstsein und die Werte zu verlagern.